Die Analyse ist realistisch und auch schonungslos: „Wir müssen uns verabschieden von der Volkskirche, die ein Großteil der Bevölkerung als selbstverständlichansieht. Heute müssen sich Menschen bewusst für die Kirche entscheiden“, weiß Petra Dierkes, Leiterin der Haupt-abteilung Seelsorge des Erzbistums Köln, aus Erfahrung. Als Konsequenz befürwortet sie einen Perspektivwechsel.
Nicht die Suche nach helfenden Händen, um die Ge-meinde zu erhalten, sei vorrangig, sondern Menschen wollten mit ihren Talenten in die Gemeinden „gerufen“ werden. Es müsse deshalb gefragt werden, wer vor einem stehe und was er einbringen wolle. Als Beispiel für diese Praxis nannte sie auch die Bürgerstiftung Gerricus.
Die hatte zusammen mit der Gemeinde St. Margareta und dem ASG-Bildungsforum Petra Dierkes eingeladen, um unter dem Leitwort „Seelsorge braucht ein starkes Team“ die Zukunft von Kirche und die notwendige Zusammenarbeit von Priestern, Theologen und Laien in einem Vortrag mit offenem Gespräch zu bereden. Diese Zusammenarbeit wird vom Kölner Bischof Rainer Kardinal Woelki ausdrücklich unterstützt. In seinem Hirtenbrief habe er sein Vertrauen in alle Getauften ausgedrückt, so Dierkes. Aus Betroffenen müssten Beteiligte werden. Auch das sei ein Merkmal des Perspektivwechsels.
Die Änderung der Perspektive sei aber nicht selbstverständlich. „Es gibt Beweger, die neues ausprobieren wollen, und es gibt Bewahrer, die auf bewährte Fundamente setzen“, sagte
Dierkes. Beide seien notwendig, müssten sich in der Gemeinde finden.
Wertschätzende Haltung, flache Hierarchien, Herzlichkeit und Offenheit – so wie sie in der Flüchtlingshilfe beispielsweise gelebt werde, bringe neues Leben in die Gemeindenso Dierkes. Auch im Sachspendenlager geschehe Gottesdienst. So wie auch ein Familienzentrum Kirchort sein könne. Diese kleinen „Gemeinden“ gelte es zu entdecken und zu fördern. Zum Beispiel auch durch tägliche, selbstverständliche Bibel-Lesungen oder durch sichtbare Beauftragung von Laien. So entstehe ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Die großen Seelsorgebezirke könnten dies nicht leisten und seien nicht mehr als eine Verwaltungseinheit.
In vielen Gemeinden werde unter der neuen Perspektive schon vieles bewegt. Sei es Feiern mit Flaschenbier, um die Helfer vom Bierzapfen zu entlasten und ihnen die Möglichkeit zum Mitfeiern zu geben, sei es die Gestaltung von Gottesdiensten nach Vorstellungen einzelner Gruppen, oder sei es das bewusste Begrüßen der Gottesdienstbesucher.
Spannend war die Frage einer Zuhörerin, ob dieses Vertrauen des Kardinals und der Kirche in die Getauften ein echtes aus Überzeugung sei oder ob es aus der Not geboren sei, weil Personal fehle. Dierkes gab die ehrliche Antwort, dass auch die Not den Schritt zum Perspektivwechsel beeinflusst habe. Aber das Vertrauen aus Überzeugung und Zutrauen überwiege. Applaus war der Dank für die Impulse und Denkanstöße.