Demenz – ein Update

Sie befinden sich hier:
28. Februar 2020
Lebenstauglich auch mit Demenz: Aktivierung der Patienten und gezielte Therapie gegen negative Begleiterscheinungen sind hilfreich für ein eigenständiges Leben. Soziale Kontakte müssen gefördert werden.
Dr. med. Michael Lorrain

Dr. med. Michael Lorrain

Die Sorge, dement zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Rund 1,5 Prozent der Bevölkerung leiden an dieser Krankheit, zirka 40.000 Neuerkrankungen kommen pro Jahr hinzu. „Etwa 50 Prozent der Menschen fragen sich deshalb, ob ihre Vergesslichkeit bereits Anzeichen für eine Demenz ist“, berichtet der Neurologe Dr. Michael Lorrain, Mitglied des Teams Neuroärzte Gerresheim-Pempelfort, aus der Statistik. Aber das Schreiben von Merkzetteln oder das Verlegen von Alltagsgegenständen wie Schlüssel oder Geldbörse sei meist normal. „Erst wenn jemand nicht mehr weiß, wo der Merkzettel liegt, oder wenn er Schlüssel an ungewöhnlichen Orte wie Kühlschrank oder Schuhablage deponiert, deutet das auf eine Erkrankung hin“, sagt Lorrain. Er gibt den rund 50 Besuchern eine Einordnung, die zum Gesprächsabend „Demenz – ein Update“ innerhalb der „Entlastung-für-die-Seele“-Vortragsreihe für pflegende Angehörige – organisiert von der Pfarre St. Margareta, der Bürgerstiftung Gerricus und der ASG – gekommen waren.

 

Sich aus Angst vor den Folgen zu spät auf Demenz untersuchen zu lassen, ist für Lorrain aber nicht ratsam: „Demenz bedeutet keinesfalls sofortige Unterbringung in ein Pflegeheim, der Alltag kann bei leichten kognitiven Störungen in der gewohnten häuslichen Umgebung gemeistert werden.“ Auch wenn Demenz noch unheilbar sei, gebe es etliche Möglichkeiten, den Verlauf der Krankheit zu verlangsamen und die Lebenstauglichkeit zu verbessern. Hilfreich sei eine Therapie gegen negative Begleiterscheinungen. Durch Medikamente könne die Stimmung aufgehellt, Unruhe gebremst und Angst genommen werden. Zudem sei das Strukturieren des Tagesablaufs eine Unterstützung. „Merkhilfen, Gedächtnistraining und Training für Realitätsorientierung sind beispielsweise wichtig.

Foto-Pflegende-Angehoerige-Web

Und die Aktivierung des Patienten ist erforderlich“, sagt Lorrain und hebt die Bedeutung von sozialen Kontakten, Teilnahme an Selbsthilfe-Gruppen und auch Gruppentherapie vor. Und zwar für Patient und Angehörige gleichermaßen. Denn die Pflege fordere sehr viel Kraft, Angehörige brauchten deshalb Entlastung. Erfahrungsaustausch mit anderen und auch ein paar Stunden Zeit nur für sich selbst seien Gold wert.

Je weiter die Alzheimer-Krankheit fortschreite, desto schwieriger könne der Zugang zu den Patienten werden. Da das Langzeit-Gedächtnis meist nicht beeinträchtigt sei, helfe Musik. „An alte Lieder erinnern sich Demente und singen gerne mit“, so Lorrain. Ebenso reagierten sie auf alte Bilder, auf Geschirr, Küchengeräte und Einrichtungsgegenstände aus früherer Zeit, weil sie ihnen vertraut seien. Und die Gefühle des Demenz-Erkrankten müssten unbedingt angesprochen werden. „Emotionale Demenz gibt es nicht, Streicheln und Schmusen lösen daher bei dem Erkrankten ein Wohlgefühl aus“, betont Lorrain. Auch Therapie mit Tieren, etwa das Streicheln und Kraulen von Hunden, tue gut.

Auf die Frage eines Besuchers, welcher Arzt eine Demenz-Diagnose geben solle, empfahl Lorrain das Aufsuchen eines Neurologen: „Denn sie sind über neue Forschungsergebnisse gut informiert, haben die Erfahrungen eines Spezialisten und nicht zuletzt steht ihnen ein größeres Budget zum Verordnen von Medikamenten und Therapien zur Verfügung als etwa einem Allgemeinmediziner.“ Er wünscht sich zudem, dass die Erfahrung der Spezialisten sehr viel stärker als bisher von Hospizen beachtet wird. Sie hätten – so Lorrain – „die Bedürfnisse von Demenzpatienten und ihre spezielle palliative Begleitung meist nicht im Blick.“

Text: Michael Brockerhoff