Auf Einladung des Pflege- und Altenheims Gerricusstift und der Bürgerstiftung Gerricus gab Christian Bleck, Professor für Wissenschaft Soziale Arbeit von der Hochschule Düsseldorf, im Gerricusstift in einem Vortrag einen Überblick über ausgewählte Kommunikationskonzepte und praktische Fördermöglichkeiten von Menschen mit Demenz.
Für die Begleitung von Menschen, die sich in einem Frühstadium der demenziellen Veränderung befänden, könne ein sensibel eingesetztes „Realitätsorientierungstraining“ durchaus eine gute Möglichkeit sein, so Christian Bleck. Demnach können gut lesbare Kalender, große Uhren und Hinweisschilder, z.B. mit Fotos von Küche, Schlafzimmer etc. den Menschen mit Demenz mehr Orientierung geben. Auch eine feste Tagesstruktur helfe den Meisten.
Bei fortgeschrittener Demenz riet der Experte der Sozialen Arbeit das von Nicole Richard entwickelte Konzept der so genannten „integrativen Validation“ auszuprobieren. Dabei werden Sichtweisen von Menschen mit Demenz für gültig erklärt und nicht korrigiert. „Wichtig ist, dass sie Gefühle und Antriebe erspüren und bestätigen“, sagte Christian Bleck. Als Beispiel nannte er Frau Müller, die in einem Pflegeheim mit mehreren Decken und Kleidern der Zimmernachbarin auf dem Arm über den Flur läuft. Anstatt Frau Müller die Kleider und Decken aus der Hand zu nehmen und sofort an den richtigen Platz zu räumen, ginge es darum, bei ihr das Bedürfnis nach Ordnung oder Pflichtbewusstsein wahrzunehmen. Mit wertschätzenden Sätzen wie „Sie kennen Ihre Pflichten“ oder Sprichwörtern wie „Ordnung ist das halbe Leben“ könne dann gemeinsam aufgeräumt werden. Für entscheidend hält Bleck, dass man die „innere Biografie“ eines Menschen mit Demenz kenne, also das, was ihm wichtig war. Wenn man beispielsweise wisse, dass Frau Müller im Sekretariat gearbeitet und ihren Beruf geliebt habe, könne man auch gut mit Sätzen wie „Im Sekretariat hätten Sie so eine Unordnung nicht zugelassen“ auf sie eingehen.
Christian Bleck ermunterte dazu, in der Kommunikation immer neue „Versuche des Einfühlens und Verstehens“ zu starten. Und: „Spielen Sie Emotionen wie Wut nicht herunter, sondern bestätigen Sie den Zorn ihres Gegenübers in der gleichen Tonalität mit einem deutlichen ‚Sie sind jetzt aber sauer!‘.“
Wie sehr das Thema „Begleitung von Menschen mit Demenz“ interessierte, zeigten die rund 80 Zuhörer, die zu dem Vortragsabend gekommen waren. Sie diskutierten eifrig mit und steuerten auch zahlreiche Tipps aus dem eigenen Alltag bei. So erzählte eine Frau aus dem Publikum, dass ihr Vater einen Zettel, auf dem sein Name, Adresse und Telefonnummer für den Fall vermerkt waren, dass er nicht mehr allein nach Hause fände, auf keinen Fall einstecken wollte. Als die Familie ihm die Informationen jedoch auf ein kleines weißes Kärtchen drucken ließen, nahm er seine neue „Visitenkarte“ ohne Widerspruch mit.
Im Laufe des Vortrags wurde deutlich, dass die „Biografiearbeit“ Christian Bleck besonders am Herzen lag. „Bleiben Sie neugierig auf den Menschen hinter der Demenz“, lautete sein Ratschlag. Wichtig sei es, zu wissen, was der Mensch in seinem Leben gerne gemacht habe und was ihn interessiere. Um besser ins Gespräch zu kommen, könnten Fotos, Kisten mit liebgewordenen Gegenständen, aber auch das gemeinsame Singen und Melodienraten hilfreich sein.
Darüber hinaus sei auch Bewegung von großer Bedeutung. Damit ein Mensch mit Demenz jedoch nicht unvermittelt mit einem „Bewegungsangebot“ konfrontiert werde und dieses möglicherweise ablehne, hat sich nach Erfahrung von Christian Bleck – er arbeitete selbst einige Jahre im Gerricusstift – bewährt, die Bewegung möglichst mit einem vertrauten Thema zu verbinden und in den Alltag zu integrieren. So könne aus einem Gespräch über Spiele aus Kindheitstagen das gemeinsame Murmelrollen werden, aus dem sich dann Spiele mit einem Ball oder einem Luftballon entwickelten. Das bestätigt auch Remy Reuter, Leiter des Gerricusstifts: „Bei uns wird das Normalitätsprinzip groß beschrieben.“
Das wiederum bedeutet auch: Menschen mit Demenz dürfen jederzeit das Pflege- und Altenheim verlassen. Dabei hat Remy Reuter einen deutlichen Wandel im Bewusstsein der Menschen im Stadtteil festgestellt: „Während wir vor zehn Jahren oft Bewohner mit den vorwurfsvollen Worten ‚Ihr solltet sie besser wegsperren‘ zurückgebracht bekamen, ist heute viel mehr Verständnis für die Orientierungsprobleme von Menschen mit Demenz vorhanden.“
Doch wie reagiert man nun auf die ältere Dame, die sofort zu ihren „Kindern“ möchte, und auf den älteren Herrn mit dem Hund, wenn Validation in dieser Situation nicht geholfen hat? Christian Bleck gibt zu, dass es keine leichte Aufgabe sei, abzuwägen: Das Gebot, möglichst nicht zu lügen, stünde dem Prinzip, möglichst nicht zu korrigieren und damit noch mehr zu verunsichern, gegenüber.
Wenn es helfe, den von Demenz betroffenen Menschen zu beruhigen und ihm seine Sorge zu nehmen, seien notfalls auch nicht ganz der Wahrheit entsprechende Umschreibungen wie „Die Schule endet erst in zwei Stunden“ oder „Der Hund ist gut versorgt“ legitim, so Bleck. Letztlich müsse das der Begleiter der demenziell veränderten Person – auch ethisch – für sich entscheiden und ausprobieren. Denn: „Im Umgang mit Menschen mit Demenz gibt es kein Patentrezept.“