Als im Jahr 1990 im Zuge von Glasnost und Perestroika jüdische Bürger die Sowjetunion verlassen konnten, traf die Auswanderungswelle die Jüdische Gemeinde Düsseldorf völlig unvorbereitet. Von jetzt auf gleich standen russisch-sprachige Familien mit Säuglingen und kleinen Kindern vor den Toren der Synagoge. Michael Szentei-Heise rief als erstes einen Dolmetscher und sorgte für eine Unterkunft.
In den folgenden 14 Jahren nahm die anfangs etwa 1500 Mitglieder umfassende Jüdische Gemeinde mehr als 6000 Flüchtlinge, vor allem aus Russland, auf. „Wir sind Meister im Improvisieren geworden“, sagte Szentei-Heise.
Ein Beispiel für sein hohes persönliches Engagement ist seine Fahrt in die Niederlande im Jahr 1991, als er mit 500 russischen Pässen im Gepäck über die Grenze fuhr,
um im Konsulat in Den Haag für die jüdischen Zuwanderer Visa zu besorgen. Anekdoten wie diese machten seinen Vortrag spannend und ließen ihn zu einem lockeren Gespräch werden, bei dem die interessierten Besucher fast eine Stunde lang Fragen stellten.
Auch ein altes Mütterchen muss die deutsche Sprache lernen
Heute blickt die Jüdische Gemeinde auf inzwischen 27 Jahre Erfahrung in der Integration von Auswanderern zurück und ist gerne bereit, sich auch bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingswelle einzubringen, so der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Für Michael Szentei-Heise war und ist es das Allerwichtigste, dass die Flüchtlinge die deutsche Sprache lernen: „Für mich darf es bei der Frage des Spracherwerbs keine Kompromisse geben.“ Auch ein altes Mütterchen müsse in der Lage sein, Brot und Milch im Laden kaufen zu können.

Verwaltungsdirektor Michael Szentei-Heise und Michael Brockerhoff, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Gerricus (Foto: Angelika Fröhling)
Kindern Aufstiegschancen geben
Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Bildung. „Wir müssen mehr in Kitas und Schulen investieren, um auch Flüchtlingskinder in das Bildungssystem aufnehmen zu können.“ Gerade den Kindern der Zuwanderer sollte die Chance auf Aufstieg gegeben werden.
Die Jüdische Gemeinde geht mit gutem Beispiel voran und unterhält mit staatlicher Unterstützung die größte Kindertagesstätte Düsseldorfs, eine dreizügige Grundschule und seit Neuestem auch ein Gymnasium. Dabei stehen die Bildungs-einrichtungen für alle Kinder – unabhängig der Religion – offen. Die 14 Mitarbeiter umfassende Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde kümmert sich darüber hinaus um die finanzielle und soziale Absicherung der nichterwerbstätigen Flüchtlinge.

Michael Brockerhoff überreicht dem Referenten als kleines Dankeschön „himmlische“ Pralinen und einen Schirm der Bürgerstiftung Gerricus.
Integration braucht Geduld
Doch wie konnte die berufliche und soziale Einbindung der Auswanderer vor dem Hintergrund unterschiedlicher kultureller Prägung und unterschiedlicher Lebensentwürfe so gut gelingen? „Integration braucht vor allem Geduld, denn sie dauert mindestens eine Generation lang“, weiß Michael Szentei-Heise. Gemessen daran sei die 27 Jahre dauernde Arbeit nicht ungewöhnlich.
Neben der Geduld sei aber ein ständiger Einsatz für und mit Zuwanderern nötig. „Sie brauchen eine Lobby“, erklärte Szentei-Heise, der sich in diesem Zusammen-hang durchaus als Cheflobbyist sieht. Es könne sein, dass Gemeinden oder Vereine im Interesse der Zuwanderer Aufgaben erfüllen müssten, die der Staat nicht leisten könne und daher delegiere.